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Kammerorchester Musica Vitae, Växjö (Schweden)
Benjamin Schmid (Violine und Leitung)
Ariane Haering (Klavier)

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
– Konzert d-Moll für Violine, Klavier und Streicher
I. Allegro
II. Adagio
III. Allegro molto

Florian Willeitner (* 1991)
– Suite für Streichorchester (Deutsche Erstaufführung)
1. Ouvertüre
2. Allegro pesante »Grey Zone«
3. Adagio »Zwischenwelten«
4. Scherzo »Schizophrenia«
5. Presto »Is it legal to steel the cowboy’s horse (while he is robbing a bank?)«
6. Fuga«

–Pause –

Peter I. Tschaikowsky (1840-1893)
– Serenade C-Dur, op. 48
1. Pezzo in forma di sonatina: Andante non troppo / Allegro moderato
2. Walzer: Moderato
3. Elégie: Larghetto elegiaco
4. Finale (Tema russo): Andante / Allegro con spirito

Die vielen Farben der Streicher

Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert d-Moll für Violine, Klavier und Streicher
Abraham Mendelssohn, der Vater des Komponisten, veranstaltete in seinem Berliner Haus am Sonntagnachmittag Konzerte, zu denen die kulturelle Elite der Stadt erschien und bei denen die frühen Werke von Felix (und auch, nur dort, seiner kaum minder begabten Schwester Fanny) zur Uraufführung gelangten, unter Mitwirkung beider Geschwister.
Am 6. Mai 1823 vollendete Felix das Konzert in d-Moll für Violine, Klavier und Streicher, wenig später erklang es wohl erstmals im Rahmen der Sonntagskonzerte, mit dem Komponisten am Flügel – um für mehr als ein Jahrhundert wieder in Vergessenheit zu geraten. Das mit über einer halben Stunde umfangreiche Stück folgt den Vorbildern Bach, Mozart und Haydn, doch in vielen Wendungen ist die eigene Handschrift des Komponisten deutlich zu erkennen. Die neue Emotionalität der Frühromantik zeigt sich schon im ersten Satz, der in barocker Kontrapunktik beginnt, aber schnell zu einem lyrisch aufblühenden zweiten Thema findet. Beide Solostimmen sind dankbar, die Solisten dürfen auch einzeln hervortreten und mit dem Orchester in Dialoge treten. Empfindsame Stimmungsmalerei bietet der langsame Satz, in dem man getrost ein wenig an Chopin denken darf. Das impulsive Hauptthema des brillanten Finalsatzes wird gleich am Anfang von den Solisten vorgestellt. Dazu kontrastiert ein choralartiges Seitenthema. Schon für das Frühwerk Mendelssohns gilt, was sein Freund Robert Schumann 1840 schrieb: »Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt.«

Florian Willeitner: Suite für Streichorchester
»Zart und hauchend, voll und warm, schrill und laut, wendig, virtuos und bodenständig groovend – meine Suite lebt von diesem zauberhaften Farbenreichtum, wie ihn nur Streicher haben,« schreibt Florian Willeitner über sein neues Stück, welches im Jänner 2021 für das schwedische Kammerorchester Musica Vitae entstanden ist. »Zwischenwelten, wie ich den dritten Satz nenne, sind das große Thema, das die kontrastierenden Sätze im Inneren zusammenhält.«
Der aus Passau stammende, international erfolgreiche Komponist und Geiger, der unter anderem bei Benjamin Schmid in Salzburg studiert hat und seit einigen Jahren Stammgast der Mozartwoche mit phantasievollen Projekten rund um den Genius loci ist, verbindet in seinen Stücken meist unterschiedliche musikalische Welten – und siehe da, sie sind einander näher, als man denken würde. Der Komponist über seine Streichersuite: »Ist es Klassik? Ist es Jazz? Ernst oder Unterhaltung? Ist es gar Neue Musik oder blitzt hier und da doch tatsächlich die Tradition hindurch? Es ist wahre, lebendige Musik des 21. Jahrhunderts, welche das Orchester vor immense Herausforderungen stellt.«
Die Ouvertüre »voll extremer Spannung« bezeichnet Willeitner als »super-ultra-hyper-mega-meta-lydisches Präludium«, womit er sich auf den faszinierenden britischen Sänger, Komponisten und Multiinstrumentalisten Jacob Collier (*1994) und dessen kreative Verknüpfungen des Jazz mit alten Kirchentonarten wie der lydischen bezieht. Es folgen »virtuose und elegische Mittelsätze«. Der zweite Satz groovt, im dritten wird eine Morgendämmerung in Klänge zwischen den Welten verwandelt, im Scherzo sind die Celli ganz anderer Meinung als die übrigen Streicher – sozusagen klingende Schizophrenie. Das rasante Presto imaginiert eine groteske Western-Situation. In der »halsbrecherischen Fuge am Ende« hat Willeitner ein Fugato aus seinem »Duo für Violine und Tuba« mit größter Virtuosität variiert und ausgeweitet. »Wie bei früheren Werken«, resümiert er, »habe ich mit dieser Suite versucht, Tradition und Innovation, Theorie und Hörlust, strenge Form und Freiheit miteinander in Einklang zu bringen.«

Peter I. Tschaikowsky: Serenade C-Dur, op. 48
Eines der relativ unbeschwertesten Stücke Tschaikowskys ist die Streicherserenade in C-Dur. Der Komponist der großen Gefühle verbindet hier romantischen Ausdruck mit rokokohaften Gesten und der klassischen Form einer Mozart-Serenade. Die eigenständige, unwiderstehliche Kraft der sofort ins Ohr gehenden Tschaikowski-Melodie und das slawische Kolorit sind aber ebenso bestimmend wie in der unmittelbar danach entstandenen 5. Symphonie. An seine Gönnerin Nadeshda von Meck schrieb der Komponist im Oktober 1880: »Ich habe die Serenade aus innerem Antrieb geschrieben. Dieses Werk ist erfühlt und darum, wie ich zu hoffen wage, von innerem Wert.« Die Einleitung des ersten Satzes beschwört eine gleichsam in schweren Brokat gehüllte barocke Lebensfreude, ehe charmantes Geplauder »in forma di sonatina« den weiteren Verlauf bestimmt. Der Schluss kehrt zur Einleitung zurück. Der folgende edel parfümierte Walzer erinnert an die bedeutenden Ballettmusiken Tschaikowskis. Die Elegie ist der emotionale Kern der Serenade; bewundernswert, wie der Komponist dabei den Charakter des von unstillbarer Sehnsucht erfüllten Hauptthemas und den dazu kontrastierenden, im Grunde zarten Serenadenton des Satzes in der Waage halten kann. Wiederum verhalten, mit einer schwermütigen russischen Volksweise, beginnt das Finale, ehe ein geradezu übermütiger Volkstanz in hellere Regionen des Empfindens zurückführt, am Ende das Barockthema des ersten Satzes zitierend und gekrönt von einer feurigen Stretta.

Gottfried Franz Kasparek


Benjamin Schmid, Violine

Der 1968 in Wien geborene Geiger studierte in Salzburg, Wien und Philadelphia und zählt zu den international erfolgreichsten Interpreten seiner Generation. In den Jahren 1985 bis 1992 gewann er u. a. den Londoner Carl Flesch Wettbewerb, und zwar gleichzeitig den…

Ariane Haering, Klavier

Die 1976 in Le Locle in der Schweiz geborene, in Salzburg lebende Pianistin studierte in ihrer Heimat und schloss 1992 mit Auszeichnung ab, danach besuchte sie Meisterklassen in den USA und in Lausanne. Sie gewann eine ganze Reihe wichtiger Preise,…

Kammerorchester Musica Vitae, Växjö (Schweden)

Die Musik dieses Abends kommt nicht aus Schweden, aber die Musizierenden. Das Kammerorchester Musica Vitae, gegründet 1979, hat seinen Sitz in der alten südschwedischen Stadt Växjö und zählt zu den führenden Kammerorchestern Skandinaviens. »Die Musik des Lebens« zu spielen, ist…

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