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Klassische Moderne mit dem Alban Berg Ensemble Wien

Sebastian Guertler, Regis Bringolf Violine
Subin Lee Viola
Florian Berner Violoncello
Silvia Careddu Flöte
Alexander Neubauer Klarinette
Ariane Haering Klavier

Gustav Mahler (1860-1911)
– 10. Sinfonie – Adagio (bearbeitet von Martyn Harry)

Arnold Schönberg (1874-1951)
– Kammersinfonie op. 9 (bearbeitet von Anton Webern)

Richard Strauss (1864-1949)
– Rosenkavalier Suite (bearbeitet von Roland Freisitzer)

Johann Strauß (1825-1899)
– Kaiserwalzer (bearbeitet von Arnold Schönberg)

 

Weltschmerz, Aufbruch, Walzerlaune

Gustav Mahlers letzte Symphonie, die »Zehnte«, wurde im Sommer 1910 im Südtiroler Feriendomizil bei Toblach skizziert und blieb Fragment. Lediglich der erste Satz, Adagio, lag nach Mahlers Tod im Mai 1911 fertig gestellt vor und wurde 1924 gemeinsam mit dem dritten, »Purgatorio«, in einer Fassung von Ernst Krenek unter der Leitung von Franz Schalk in Wien uraufgeführt. Das Adagio wurde im Zuge der Mahler-Renaissance ab etwa 1970 zum Bestandteil des Repertoires. Diesmal erklingt es in der Ensemble-Version des britischen Komponisten und Oxford-Professors Martyn Harry. »Erbarmen!! O Gott, warum hast du mich verlassen?« – »Leb’ wol mein Saitenspiel« – »für dich leben / für dich sterben! … Almschi!« Die Vermerke Mahlers im Entwurf seiner »Zehnten« sprechen eine deutliche Sprache. Die tiefe Lebenskrise des Sommers 1910 wurzelte vor allem in der Zerrüttung der Ehe mit Alma. Dass der Nebenbuhler, der Architekt Walter Gropius, fälschlicherweise einen Brief an Alma an deren Gatten adressierte und gar in Toblach auftauchte, traf den bereits von einem schweren Herzleiden gezeichneten Komponisten tief. Nach einem Treffen mit Sigmund Freud in Holland und der Erkenntnis auch eigener Schuld besserte sich die Gemütslage Mahlers zwar ein wenig, aber das symphonische Fragment blieb in den Wintermonaten in New York liegen, wie Alma in ihren Memoiren berichtet: »… die Zehnte war nicht fertig, und er hatte eine Scheu, sich damit zu befassen.« Das hochexpressive, äußerst kunstvoll geflochtene Adagio beruht auf drei, in vielen Varianten wiederkehrenden Themen. Das erste, zweimal wiederkehrend, ist tonal nicht eindeutig bestimmbar und verströmt den Charakter tiefer Einsamkeit. Wenig beachtet wird, dass der Archetypus dieses Motivs die traurige Englischhorn-Weise des Hirten aus dem dritten Akt von Richard Wagners »Tristan und Isolde« ist. Das zweite Thema erinnert stark an die ekstatische Klangsprache Anton Bruckners, wird aber expressionistisch weitergeführt. Zwei Melodielinien, geprägt von großen Intervallen, verbinden sich über choralartigem Untergrund. Das dritte Thema mit der Überschrift »fließend« entspricht eher einem Allegretto, mit seinen Pizzicati bildet es scherzohafte Abschnitte, die an die irrlichternden Nachtmusiken früherer Werke erinnern. Wie in einem Brennspiegel erscheint in diesem Satz noch einmal die innere Welt Mahlers, ihre hochromantische Grundlage, ihre vielfältige Beredtheit, ihre Kunst der Kontraste zwischen großen Gefühlsaufschwüngen und jäher Verlassenheit, kostbarer Naturlyrik und fratzenhaft Allzu-Menschlichem. Über allem aber liegt ein zutiefst resignierender, wahrlich der Welt abhanden gekommener Ton.

Die 1. Kammersymphonie für 15 Soloinstrumente stellte Arnold Schönberg im Juli 1906 fertig, die Uraufführung fand am 8. Februar 1907 im Großen Saal des Wiener Musikvereins mit dem Rosé-Quartett und weiteren Mitgliedern der Wiener Philharmoniker statt. Diese Aufführung erregte Aufsehen, kontroversielle Reaktionen von Publikum und Presse, aber keinen wirklichen Skandal – der folgte erst 1913, als das Stück gemeinsam mit anderen Werken der »Wiener Schule« im legendär gewordenen »Skandalkonzert« erneut in Wien gespielt wurde. Als »wirklichen Wendepunkt seines Kompositionsstils« bezeichnete der Komponist das letzte Werk seiner »ersten Periode, das aus nur einem durchgehenden Satz besteht. Es hat noch eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem ersten Streichquartett op. 7, das auch die vier Satztypen der Sonatenform kombiniert (…)«. Beethovens »Große Fuge«, Schuberts Wandererfantasie und Liszts h-Moll-Sonate dürfen als wichtige Vorbilder gelten, so neu in vielen Details Schönbergs Verschmelzung der klassischen Formen an der äußersten Grenze zur Atonalität auch war. Alban Berg, für den das Stück »ein Markstein« und »genug für eine ganze Generation« war, hat nicht weniger als 17 Themen darin nachgewiesen, angefangenen mit dem eröffnenden, gleichsam enthusiastisch eine neue Zeit beschwörenden Hornruf. In Verbindung mit der überaus komplexen Harmonik und der »Emanzipation der Dissonanz« entstand hier Wegweisendes für die Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Die »Luft von anderem Planeten«, wie es im unmittelbar darauf entstandenen, die Tonalität verlassenden 2. Streichquartett mit Worten Stefan Georges heißt, war nicht mehr aufzuhalten. »Nachdem ich die Komposition der Kammersymphonie beendet hatte«, so Schönberg 1937 rückblickend in seiner Schrift »Wie man einsam wird«, »war es nicht nur die Erwartung des Erfolgs, die mich mit Freude erfüllte. Es war etwas anderes und Wichtigeres. Ich glaubte, dass ich jetzt meinen eigenen persönlichen Kompositionsstil gefunden hätte, und erwartete, dass alle Probleme (…) gelöst wären, sodass ein Weg aus den verwirrenden Problemen gewiesen wäre, in die wir jungen Komponisten durch die harmonischen, formalen, orchestralen und emotionalen Neuerungen Richard Wagners verstrickt waren.« Anton Webern (1881 – 1945) erstellte, einer Anregung seines Lehrers Schönberg folgend, die luzide Version für kleines Ensemble.

Schon bald nach dem rauschenden Dresdener Uraufführungs-Erfolg (1911) der in der Zeit der Kaiserin Maria Theresia angesiedelten, musikalisch souverän anachronistischen Oper »Der Rosenkavalier«, dieser »Komödie für Musik« auf Hugo von Hofmannsthals kongenialen Text, begann Richard Strauss, Teile des 3. Aktes als »Walzerfolge« zu bearbeiten. Im düsteren Jahr 1944 folgte eine weitere »Walzerfolge« aus dem 1. und 2. Akt. Nach dem Kriegsende 1945 gab der Verlag Boosey & Hawkes schließlich die mit instrumentalisierten Singstimmen aufgefüllte »Rosenkavalier-Suite« in Auftrag, welche der Dirigent Artur Rodzinski offenbar in bestem Einvernehmen mit dem greisen Komponisten zusammenstellte. Der in die USA emigrierte Altösterreicher Rodzinski (1892 – 1958) war damals Chefdirigent der Met in New York und mit Strauss seit seiner Studienzeit in Wien bekannt. Sein ganz im Stil der Oper vorgenommenes Arrangement verrät die intime Kenntnis des Werks, das er in der alten und in der neuen Welt oft dirigiert hatte. Der Wiener Komponist und Dirigent Roland Freisitzer (*1973) hat die Suite nun für das Alban Berg Ensemble Wien arrangiert. In der Suite sind die Hauptfiguren und Höhepunkte des Geschehens in der Art einer Tondichtung aneinander gereiht. So zeichnet die Einleitung die Liebesszene der alternden Frau und ihres jugendlichen Liebhabers, Marschallin und Oktavian, zu Beginn der Oper nach, gefolgt vom irisierenden Zauber der »Überreichung der silbernen Rose«, mit der Oktavian als Brautwerber für den plump-dreisten Baron Ochs bei Sophie, der Tochter des neureichen Herrn von Faninal, auftritt. Das Walzerthema des Ochs ist die bajuwarisch kraftvolle Paraphrase eines im Original wundersam melancholischen Themas aus dem Dynamiden-Walzer (1865) des nicht verwandten Wiener Namensvetters Josef Strauss, des nicht weniger genialen Bruders des »Walzerkönigs« Johann. Um qualitätsvolle Anleihen war Richard Strauss nie verlegen. Wie in jeder Liebeskomödie folgt eine Intrige, aus der Ochs auf Lerchenau als Verlierer und der zwischendurch als Mädchen Mariandl verkleidete Oktavian als Sieger hervorgehen. Im auch als »Dénouement« – dem alten Theaterbegriff für »Auflösung eines Knotens« – bezeichneten Abschnitt »Ist ein Traum« vereinen sich die drei Frauenstimmen zum balsamischen Terzett, bevor die Marschallin resignierend abgeht und das junge Liebespaar in der androgynen Schönheit des Zusammenklangs von Sopran und Mezzosopran sein Glück findet. Darauf folgt aber in der Suite entgegen dem Verlauf der Oper noch eine schwungvolle Reprise. Alles Walzer! – wie es am Wiener Opernball heißt.

Johann Strauss Sohn hat seinen »Kaiser-Walzer« am 21. Oktober 1889 im Etablissement Königsbau in Berlin erstmals dem Publikum präsentiert. Schon der Ort der Uraufführung deutet darauf hin, dass es nicht Franz Joseph von Österreich gewesen ist, dem das Stück gewidmet war, sondern der deutsche Kaiser Wilhelm II. Der ursprüngliche Titel war »Hand in Hand«, womit die Freundschaft zwischen den Kaisern bekräftigt werden sollte. Der schwelgerische Wohllaut, die feinen Lyrismen, die beseligenden Aufschwünge und das melancholische Unterfutter dieser wahren »Symphonie im Dreivierteltakt« sind viel mehr an der Donau beheimatet als an der Spree. Der Farbenreichtum des Orchesters ist typisch für die späten großen Walzer-Tondichtungen der Strauss-Dynastie, die formale Gestaltung hat sich von den einfachen Walzerketten der Anfänge nach 1800 weit entfernt. Zwar bleibt die Grundform – Introduktion, meist fünf Walzer, Coda – bestehen, aber schon die symphonische Introduktion mit ihren stilisierten Marschrhythmen, dem Tutti des Orchesters und der signalartigen Oboenfanfare schafft einen großen Atem, aus dem sich im Cellosolo der sehnsuchtsvolle erste Walzer entwickelt. Mit Tonartenwechsel und feinsten, in bezeichnender Weise verzögerten Übergängen wird ein weites Gefühlspanorama geschaffen, geprägt von rund zehn verschiedenen melodischen Motiven. Das Paradebeispiel eines »Konzertwalzers«, der nur mehr bedingt und teilweise zum Tanzen geeignet ist, wurde den Wienern in seiner originalen Gestalt am 24. November 1889 im Goldenen Saal des Musikvereins präsentiert. Das Werk musste wiederholt werden. Johann Strauss war endgültig im Tempel der großen Kunst angekommen. Wenig bekannt ist, dass Arnold Schönberg seine Karriere als Komponist mit kurzen Konzertwalzern begonnen hatte. Eine respektvolle Liebe zur sogenannten »leichten Muse« bewahrte er sich sein Leben lang – und so war es nicht nur Kalkül, die »Neue Musik« im legendären »Vereins für musikalische Privataufführungen« in Wien durch einfühlsame Arrangements von populären Strauss-Walzern zu ergänzen.

Gottfried Franz Kasparek


Alban Berg Ensemble Wien

Sebastian Guertler, Regis Bringolf (Violine) Subin Lee (Viola) Florian Berner (Violoncello) Silvia Careddu (Flöte) Alexander Neubauer (Klarinette) Ariane Haering (Klavier) Spannende Konzertprogramm zeitgemäß zu präsentieren, das Publikum auf künstlerische Entdeckungsreisen mitzunehmen und Musik weltoffen, kompromisslos und poetisch zu kommunizieren: das…


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