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Benjamin Schmid Violine und Leitung
Dalina Ugarte, Sophie Druml, Florian Moser Violine
Lily Francis, Veronika Hagen Viola
Franz Bartolomey, Matthias Bartolomey Violoncello
Roberto Di Ronza Kontrabass

Max Bruch (1838-1920)
Streichoktett in B-Dur op. posth.
für 4 Violinen, 2 Bratschen, Cello und Kontrabass (1920)

Franz Schubert (1797- 1828)
Streichquintett in C-Dur D 956 (1828)

 

Gesänge am Abgrund

Der aus Köln stammende Max Bruch zählt zu den »bekannten Unbekannten« der Musikgeschichte. Was kennt man schon außer seinem populären 1. Violinkonzert und dem »Kol Nidrei« für Cello und Orchester? Zu Lebzeiten war Bruch einer der bekanntesten Tondichter. Er debütierte bereits als 11-Jähriger, war später Hofkapellmeister in Sondershausen, Musikdirektor in Liverpool, Chorleiter in Berlin und ebendort beliebter Kompositionslehrer. Verbittert wegen des gegen sein Lebensende nachlassenden Erfolgs starb er hoch dekoriert und halb vergessen. Bruch war zweifellos traditionellem Formdenken verpflichtet. Der einmal gefundenen, sehr am Volksliedhaften orientierten deutschen Romantik blieb der konservative Kämpfer gegen Wagner, Richard Strauss und Reger unerbittlich treu. Brahms war sein Gott und sein Verhängnis, denn dessen im Grunde innovative Kunst konnte er nicht erreichen. Doch darf formaler Fortschritt nicht das einzige Kriterium großer Musik sein. Ebenso wichtig sind melodische Inspiration, persönliche Eigenart und innere Glaubwürdigkeit. Unter diesen Voraussetzungen ist das wenige Monate vor dem Tod Bruchs entstandene Oktett ein Meisterstück. Erst 1996 wurde das solistisch oder chorisch spielbare Stück gedruckt und öffentlich uraufgeführt. Eine derart späte Rezeption des Werks eines bekannten Komponisten erinnert an Schubert.

Max Bruch, der 1913 seinen Sohn Hans verloren hatte und dessen Gattin Clara 1919 verstorben war, lebte in seinem letzten Jahr in Einsamkeit. Doch hat der 82-Jährige seine schöpferische Kraft noch einmal gefunden, um dieses Requiem in Kammermusikform zu schreiben. Wollte er darin, aller Trauer zum Trotz, in leuchtenden Farben noch einmal eine untergehende Epoche beschwören? Der Kopfsatz ist durchpulst von überschwänglicher Melodik. Das Zentrum des Stücks bildet das Adagio in es-Moll. Über an einen Herzschlag erinnerndem Pochen beginnt ein wehmütiger Gesang, der im Mittelteil, Andante, nach kurzem Aufbegehren in tröstliches H-Dur wechselt. Der ersten Violine gilt besondere Aufmerksamkeit. Im tänzerischen Finalsatz scheint die Lebensfreude zurückzukehren. Den Sieg trägt eine inbrünstige und unvergessliche Melodie davon. Instrumental zu »singen« ist auch in der Moderne noch möglich – diese Botschaft Bruchs hat beständige Gültigkeit.

Die Uraufführung des Streichquintetts von Franz Schubert, eines der größten Werke der Kammermusik überhaupt, fand 1850 statt, in Wien mit dem Hellmesberger-Ensemble. Geschrieben wurde das Stück im September des Todesjahres, jedenfalls kündigte Schubert es anfangs Oktober einem Verleger an. In den letzten Monaten seines Lebens hat Schubert das Quintett, drei Klaviersonaten, die Es-Dur-Messe, die Heine-Lieder und kleinere Vokalwerke geschrieben sowie an einer Symphonie gearbeitet, deren erhaltene Skizzen völlig neuartige, weit in die Moderne weisende Konzeptionen beinhalten. Dieser Musiker befand sich am Ende seines Lebens, aber nicht am Ende seiner Kreativität.

Entgegen den zwei Bratschen bei Mozart führte Schubert in der Nachfolge Boccherinis in seinem Quintett ein zweites, wie das erste von der Bassfunktion befreites und häufig in hohen Lagen eingesetztes Cello ein, was dem Klangcharakter große Eigentümlichkeit verleiht. Die Länge des Werks ist ebenso ungewöhnlich, vor allem, weil dadurch keine Längen im negativen Sinn entstehen. Die Entwicklung der Themen, die Variationen und Wiederholungen sind stets spannend, bringen stets neue Farben, neue Gedanken. Die wissenschaftlichen Analysen des singulären Stücks füllen Bände. Die Beschreibung dieser gewaltigen, in der Radikalität ihrer Aussage immer noch verstörenden schöpferischen Leistung muss ein gewagter Versuch bleiben.

Das eröffnende Allegro beginnt leise, fragend, steigert sich dramatisch, ehe eine von Schuberts wundersamsten Melodien anhebt. Eine Melodie, deren C-Dur-Lieblichkeit ständig von tiefer Trauer umschattet ist. Moll-Trübungen, gesangliche Episoden, rhythmisch attackierende Abschnitte und mitunter Tanz-Apotheosen schaffen ein weites Panorama emotionalen Ausdrucks. Die klassische Form wird meisterhaft beherrscht, aber gleichzeitig von innen aufgebrochen. Das Adagio steht in E-Dur und beginnt schlicht, verhalten, wie eine Abendmusik. Die schwermütig fließende Melodik wird durch Pizzicati kontrastiert, die sich von angenehmer Stimmungsmalerei jäh zu bedrohlichem Klopfen wandeln können. Im Mittelteil bricht die besinnliche Atmosphäre abrupt auseinander, düsteres f-Moll dringt ein, schmerzliche Leidenschaften lodern auf. Nach einer Phase resignierenden Versickerns kehrt die Serenade zurück, der melodische Bogen spannt sich aber bis zum Zerreißen. Scharfe Kontraste folgen auch im Scherzo. Es beginnt und endet mit einem trotzigen, jugendlich auftrumpfenden Presto, dazwischen ändert sich so gut wie alles – Tonart, Takt, Tempo, Dynamik; nach einem fast gewalttätig aufschreienden Unisono kehrt die Dunkelheit ein, geheimnisvoll verhangen, ehe eine stammelnde Passage die Vitalität zurückholt. Im Finale vereint Schubert Sonatensatz und Rondo, die stampfende Gestik eines lebenslustigen Volkstanzes und hintergründigen Wiener Charme. Als wollte er noch einmal Freude und Schönheit beschwören, Leben und Licht. Aber auch in diesem heiteren Satz lauern Abgründe, grinst manchmal fratzenhaft der Tod herein. »Durch Nacht zum Licht«? Die letzten, gehetzten Takte lassen verzweifeltes Hoffen ahnen.

Gottfried Franz Kasparek


Benjamin Schmid, Violine

Der 1968 in Wien geborene Geiger studierte in Salzburg, Wien und Philadelphia und zählt zu den international erfolgreichsten Interpreten seiner Generation. In den Jahren 1985 bis 1992 gewann er u. a. den Londoner Carl Flesch Wettbewerb, und zwar gleichzeitig den…

Dalina Ugarte, Violine

Die junge Geigerin aus Venezuela gewann als 18-Jährige im März 2013 einen Preis bei der Eurasia International Competition. Sie studierte in Wien am Konservatorium bei Gernot Winischhofer und nun bei Benjamin Schmid an der Universität Mozarteum in Salzburg. Dalina Ugarte…

Sophie Druml, Violine

Sophie Druml wurde 1998 in Wien geboren, studiert seit ihrem sechsten Lebensjahr Geige bei Juri Polatschek und seit 2012 bei dessen Tochter Tatjana Sotriffer. Ebenfalls seit ihrem sechsten Lebensjahr lernt sie an der Wiener Musikuniversität Klavier bei Alma Sauer. Seit…

Florian Moser, Violine

Florian Moser, geboren 1991 in Salzburg, bewegt sich stilistisch mühelos zwischen Barockvioline, moderner Violine und jazziger E-Geige. Nach dem Violinstudium an der Musikuniversität Wien bei Joseph Hell absolvierte er ab Herbst 2013 ein Studium an der Universität Mozarteum Salzburg in…

Lily Francis, Viola

Lily Francis ist eine der führenden Geigerinnen und Bratschistinnen unserer Zeit. 1983 im amerikanischen West Hartford / Connecticut geboren, studierte sie Violine bei Joseph Silverstein am legendären Curtis Institute of Music in Philadelphia und bei Miriam Fried in Boston. 2009…

Veronika Hagen, Viola

Veronika Hagen, geboren 1963 in Salzburg, ist die Bratschistin des Hagen Quartetts, mit dem sie seit rund 25 Jahren in der ganzen Welt konzertiert. Im Alter von sechs Jahren erhielt sie ihren ersten musikalischen Unterricht von ihrem Vater, dem vormaligen…

Franz Bartolomey, Violoncello

Franz Bartolomey war erster Solocellist der Wiener Philharmoniker bis 2012 und Mitglied dieses Orchesters in dritter Generation. Seit 1997 ist er in der Hofmusikkapelle in Wien tätig. Geboren 1946 in Wien, erhielt er seinen ersten Cellounterricht im Alter von sechs…

Matthias Bartolomey, Violoncello

Geboren 1985 in Wien. Im Alter von sechs Jahren erhielt er den ersten Cellounterricht von seinem Vater Franz Bartolomey. Er studierte in der Konzertfachklasse bei Valentin Erben an der Universität für Musik in Wien und bei Clemens Hagen am Mozarteum…

Roberto Di Ronza, Kontrabass

Roberto Di Ronza wurde 1972 in Caserta / Italien geboren. Als 16-Jähriger erhielt er seinen ersten Kontrabass-Unterricht, ein Jahr später wurde er am Conservatorio San Pietro a Maiella in Neapel Schüler von Nicola Buonomo. Schon während des Studiums war er…


 

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