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Kammerorchester Musica Vitae, Växjö (Schweden)
Benjamin Schmid (Violine und Leitung)
Linus Roth und Dorota Siuda (Violinen)

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
– Konzert für 2 Violinen und Streicher d-Moll, BWV 1043 (um 1720)
I. Vivace
II. Largo ma non tanto
III. Allegro

– Konzert für 3 Violinen und Orchester D-Dur, 1064R (Rekonstruktion
der Urfassung des Konzerts für 3 Cembali, um 1720)
I. Allegro
II. Adagio
III. Allegro

Florian Willeitner (* 1991)
– Valentina’s Air und Ben’s Jig für Solo-Violine und Streicher (2014/15)

Mieczyslaw Weinberg (1919-1996)
– Rhapsodie über moldawische Themen für Violine und Klavier op. 47/1 (1949)
Fassung für Violine und Streicher von Ewelina Nowicka (2015)

Friedrich Gulda (1930-2000)
– Wings für Violine, Streicher und Percussion (1973)

Die vielen Farben der Geige

Konzert für 2 Violinen und Streicher d-Moll, BWV 1043
Im »Doppelkonzert«, in der »weltlichen« Periode als Hofkapellmeister in Köthen geschrieben, zeigt J. S. Bach seine ganze Meisterschaft im dichten kontrapunktischen Gefüge der drei Sätze, aber ebenso seine Gabe, Themen zu finden, die plastisch und sprechend wirken, aber harmonisch ungemein farbenreich sind. Beide Solisten sind absolut gleichberechtigt. Zu den populärsten Eingebungen Bachs zählt der Mittelsatz, ein weit gespannter Kanon der Solo-Violinen, der immer wieder zu neuen Aufschwüngen aufbricht und sich zu einem wahren Hymnus steigert, ehe gelassenes Musizieren zu edler Ruhe findet. Der schwebende Siciliano-Rhythmus der fast durchwegs gleichen Orchester-Begleitung durchzieht den ganzen Satz. Dramatische Kontraste zur kontemplativen Stimmung des Largos setzt das stürmische, von Temperament durchpulste Allegro-Finale. Bach war ein Musiker, dessen singulärer musikalischer Intellekt die stets dahinter spürbare musikantische Laune und emotionale Spannung nicht vergessen lassen sollte.

Konzert für 3 Violinen und Orchester D-Dur, 1064R
Das so genannte »Tripelkonzert« für drei Violinen ist nur in der Fassung für drei Cembali aus Leipzig erhalten, geschrieben für die nicht sehr »taktfeste«, wenn auch begeistert musizierende Caféhauskapelle, die drei Tasteninstrument waren wahrscheinlich Bach-Söhnen zugedacht. Die Violinfassung, wahrscheinlich wiederum aus Köthen, wird nur vermutet. Dass es überhaupt eine solche gegeben hat, ergibt sich lediglich aus der thematischen Arbeit. In der Cembalofassung wirkt die Vielfalt der Stimmen unübersichtlich, ja kompakt; wohl aus der Absicht heraus, den drei Solisten gleichberechtigte Aufgaben zu geben und sie möglichst oft am Geschehen zu beteiligen. Wenn sie von Geigen ausgeführt werden, klingen dieselben Stellen auf einmal transparent und duftig. Für die »Rück«-Transposition vom C-Dur der Cembalofassung nach D-Dur sprechen neben spieltechnischen auch textkritische Gründe, da etliche frühe Abschriften das Cembalokonzert in D-Dur notieren. Das Konzert mit wiederum zwei schnellen Ecksätzen lässt die Solostimmen meist geschlossen, mit parallelen Spielfiguren dem Orchester begegnen. Das Adagio ist ganz nach innen gerichtet, im Finale überraschen die drei Violinen mit sich quasi gegenseitig anfeuernden Solopassagen; die statische Grundhaltung des Konzert wird feinsinnig und spielerisch aufgelöst.

Valentina’s Air und Ben’s Jig für Solo-Violine und Streicher
Florian Willeitner hat »Valentina’s Air – Ben’s Jig« seinem Lehrer Benjamin Schmid, gewidmet. Die Komposition erklang bei ihrer »ersten« Uraufführung am 6. Jänner 2015 im Neujahrskonzert der Bläserphilharmonie der Universität Mozarteum Salzburg in einer Fassung für Geige und Bläser und in der »zweiten« in einer Version mit Streicherbegleitung beim Mattseer Diabelli Sommer 2015. Wie Benjamin Schmid verbindet Florian Willeitner als Sologeiger und Kammermusiker das klassische Repertoire mit dem Jazz und hat auch als Komponist keine Probleme mit verschiedenen musikalischen Welten. Er schreibt zu seiner Komposition: »Das Stück ist eine Symbiose aus großen Melodiebögen, die an die Weite und Einsamkeit Irlands erinnern«, voll Musik mit »typisch irischer, mitreißender Tanzrhythmik, farbenreicher Harmonik und klassischer Formgebung«. Am Beginn steht »eine träumende Air, die unterbrochen wird von einem bewegten Tanzteil, inspiriert von der unglaublichen Frische und Rhythmik des Irish Folk, um schließlich in Reminiszenz an den ersten Teil in ruhigen Kantilenen der Sologeige über dem Klangteppich der begleitenden Streicher auszuklingen.«

Rhapsodie über moldawische Themen für Violine und Klavier op. 47/1
Mieczyslaw Weinberg, der Sohn eines Musikers am Jüdischen Theater von Warschau, flüchtete als kaum 20jähriger Student vor den anrückenden Nazis in die Sowjetunion. Über Minsk, wo er weiter Komposition studierte, verschlug es ihn nach Taschkent. Dort schrieb er seine erste von zwanzig Symphonien, die Schostakowitsch in die Hände kam. Der ältere Meister wurde zum tatkräftigen Förderer und Freund. Ab 1943 lebte Weinberg in Moskau als sowjetischer Komponist, der ähnlich wie sein Mentor versuchte, den schweren Weg zwischen staatlichem Terror und künstlerischer Verwirklichung zu finden. In Russlands Musikkreisen hoch geachtet, im Westen kaum bekannt, überlebte er zwar das Regime, erlebte aber nicht mehr den Welterfolg seiner Musik. Trotz einer gewissen Ähnlichkeit mit der Klangsprache von Schostakowitsch, die sich mehr in latenter Schwermut als in tragischer Ironie äußert, ist Weinbergs Musik höchst originell. Ihre meist aus slawischen und jüdischen Quellen gespeiste Melodik, ihre bei allem Festhalten an der Tonalität eigenwillige und häufig kühne Harmonik, ihre oft gelassene Melancholie und abgrundtiefe Wehmut schaffen besondere Atmosphäre. Die Rhapsodie op. 47 ist wahrscheinlich Weinbergs Mutter gewidmet, denn seine 1939 von den Nazis ermordeten Eltern stammten aus dem heutigen Moldawien, welches sie 1903 wegen eines Pogroms verlassen hatten. Es war wohl die Mutter, die ihm moldawische, also rumänische Volkslieder und Tänze vermittelt hatte. Die teils schwermütigen, teils mitreißend vitalen Motive des stimmungsvollen Stücks erinnern an die Orchester-Rhapsodien George Enescus. Das Werk ist nur in der Fassung für Violine und Klavier erhalten, die Version mit Streicherbegleitung ist verschollen und wurde von der polnischen Geigerin Ewelina Nowicka mit viel Stilgefühl neu erstellt.

Wings für Violine, Streicher und Percussion
Friedrich Guldas einziges Violinkonzert »Wings« (Flügel) wurde von einem ehemaligen Wiener philharmonischen Konzertmeister, Josef Sivó, uraufgeführt – 1974 in Salzburg, während der Komponist feixend im Publikum spazieren ging und dem Solisten in die Solokadenz redete: »Wenn dir die Kraft ausgeht, spiel ich dir ein paar Akkorde hinein.« Gewidmet ist es allerdings der rumänischen Geigerin Silvia Marcovici, einer der vielen Lieben Guldas, die es freilich nie spielte. Nach der Uraufführung ruhte das Stück dreißig Jahre lang. Heute ist Benjamin Schmid sein wesentlicher Interpret, ist er als Klassik- und Jazzgeiger doch prädestiniert dazu, die von Gulda angeregten Freiheiten zu nützen. Das einsätzige Stück beginnt mit dem Stimmen der Saiten, woraus sich eine in freiem Rhythmus notierte Soloarie für die Geige entwickelt, laut Komponist »energisch und überraschend« zu spielen. Das Orchester beginnt »intenso e vibrato«. Nach Pizzicati geht es weiter mit »Take a deep breath and get into another mood«, Wiederholungen nach Lust und Laune und Beat-Rhythmen – und auch die Pauke darf improvisieren: »Use your fantasy«. Über alles triumphiert der Groove. Und: »But play something of your own« – spiel dein Eigenes!

Gottfried Franz Kasparek


Benjamin Schmid, Violine

Der 1968 in Wien geborene Geiger studierte in Salzburg, Wien und Philadelphia und zählt zu den international erfolgreichsten Interpreten seiner Generation. In den Jahren 1985 bis 1992 gewann er u. a. den Londoner Carl Flesch Wettbewerb, und zwar gleichzeitig den…

Kammerorchester Musica Vitae, Växjö (Schweden)

Die Musik dieses Abends kommt nicht aus Schweden, aber die Musizierenden. Das Kammerorchester Musica Vitae, gegründet 1979, hat seinen Sitz in der alten südschwedischen Stadt Växjö und zählt zu den führenden Kammerorchestern Skandinaviens. »Die Musik des Lebens« zu spielen, ist…

Dorota Siuda, Violine

Dorota Siuda wurde in Zielona Gora, Polen, geboren. Nach Studium und Abschluß 1988 an der Musikakademie in Bydgoszcz studierte sie bis 1992 an der University of Southern California. Dorota Siuda hat mehrere herausragende Plätze bei verschiedenen Wettbewerben gewonnen, zum Beispiel…

Linus Roth, Violine

Nachdem der aus Ravensburg stammende Geiger Linus Roth bereits 2006 zum ECHO-Nachwuchskünstler gekürt wurde, erhielt er 2017 seine zweite ECHO-Auszeichnung für die Einspielung der Violinkonzerte von Schostakowitsch und Tschaikowsky mit dem London Symphony Orchestra unter Thomas Sanderling. Linus Roth hat…

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