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»Mein Engel, mein Alles, mein Ich – Beethoven und die Frauen«
Briefwechsel und korrespondierende Sonaten

Christoph Soldan (Klavier) und
Stefanie Goes (Rezitation)

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
– Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 »Waldstein«
– Klaviersonate Nr. 24 Fis-Dur op. 78 »à Thérese«
– Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op. 111

Der Widmungsträger von Beethovens 21. Klaviersonate von 1803, der Diplomat, Ordensritter, Musiker und Musikmäzen Graf Ferdinand Ernst von Waldstein, war jener Mann, der dem Komponisten 1792 die Übersiedlung nach Wien ermöglicht hatte, um »Mozart’s Geist aus Haydens Händen« zu empfangen. In der C-Dur-Sonate op. 53 entwickelt Beethoven seinen hoch emotionalen Personalstil weiter, der sich von Mozarts kunstvoll austariertem Klaviersatz weit entfernt hat, jedoch Haydns grimmigen Humor originell reflektiert. Die spannungsgeladene Motorik des Kopfsatzes, basierend auf einem quasi anklopfenden C-Dur-Dreiklang, zieht mit ihren Staccati und Tremolo-Effekten unweigerlich in den Bann. Erstaunlich, dass Beethoven das Klavier schon geräuschhaft einsetzte – in den Sechzehntelfiguren im Bass entwickeln sich Klangflächen.
Das Andante ist ein kurzes, lyrisches Innehalten vor dem pausenlos anschließenden Schlussrondo. Über am Pedal zu haltende Orgelpunkte entsteht wie improvisierend ein kantables, zwischen C- und G-Dur modulierendes Thema, dem enge Verwandtschaft mit einer rheinländischen Schifferweise nachgesagt wird. Trotziges Moll mischt sich hinein, der dramatische, oft bizarr-romantische Zwischensatz steht in c-Moll. Die Anforderungen an den Interpreten sind gewaltig – so muss der Pianist zeitweilig mit der rechten Hand sowohl die Triller als auch die Melodie spielen und hat in der Coda Läufe in Oktaven und Oktavglissandi zu bewältigen. Zu Beethovens Zeit war das die damaligen Hammerklaviere eigentlich überfordernde Stück wohl nur für wenige Virtuosen spielbar.

Den ursprünglichen, verworfenen Mittelsatz der »Walsteinsonate« hat Beethoven separat als »Andante favori« veröffentlicht und der ungarischen Gräfin Josephine von Brunsvik (1779-1821) gewidmet. Die 24. Klaviersonate op. 78, Beethovens einzige in der seltenen Tonart Fis-Dur, entstand 1809 und ist Thérèse von Brunsvik zugeeignet. Diese Pionierin der Kindergartenidee war wie ihre jüngere Schwester Josephine Beethovens Klavierschülerin und Vertraute. Die einmal eher glücklich und ein zweites Mal sehr unglücklich verheiratete Josephine darf als die wesentlichste »unsterbliche Geliebte« des ewigen Junggesellen gelten. Ihr schrieb er vermutlich den berühmten Brief »Mein Engel, mein Alles, mein Ich…« Eine Ehe scheiterte angeblich am Standesunterschied – möglicher Weise aber auch am komplexen Charakter des potentiellen Gatten. Ist die kurze, virtuose, im Grunde heitere Sonate ein verklärter Rückblick auf frohe Stunden? Sozusagen »Flaschenpost« mit der Schwester als Überbringerin? Oder eigentlich doch eher eine Hommage an den soeben verstorbenen Joseph Haydn, wie manche stilistische Ähnlichkeit vermuten lässt? Wie auch immer, die zwei kurzen, nach einer viertaktigen Adagio-Einleitung schnellen Sätze sind ein brillantes Feuerwerk an Ideen.

Beethovens letzte Klaviersonate, die Nr. 32 in c-Moll op. 111, entstand im Winter 1821/22 in Wien. Das gewichtige Werk hat nur zwei Sätze, was die Zeitgenossen einigermaßen verwunderte. Der Komponist behauptete auf Nachfrage mürrisch, er habe keine Zeit für einen dritten Satz gehabt. Wahrscheinlich wollte er seine Zeit nicht mit mühseligen Erklärungen verschwenden, denn alleine die Tatsache, dass keinerlei Skizzen zu einem Finalsatz vorhanden sind, deutet darauf hin, dass Beethoven einfach nach zwei Sätzen das Gefühl hatte, es sei genug. Die Sonate ist mit fast halbstündiger Dauer ohnehin ein Stück von kapitaler Länge. Die Widmung war offenbar nicht eindeutig. Zunächst schrieb Beethoven dem Verleger, er solle die Sonate »widmen, wem Sie wollen«, später dezidierte er sie seinem Schüler und Freund Erzherzog Rudolph von Österreich. Schließlich wollte er seine drei letzten Sonaten Antonie Brentano (1780 -1869) zueignen, die als eine weitere Kandidatin für Beethovens mysteriöse »unsterbliche Geliebte« gilt. Die Sache wird sich wohl nie klären lassen – Tatsache ist, dass Beethoven für die in Frankfurt mit Clemens Brentanos Bruder verheiratete, sehr attraktive Wienerin zumindest tiefe Freundschaft empfunden hat.
Der erste Satz steht in c-Moll und beginnt mit einer eindeutigen Hinführung zum Hauptsatz. Fast dissonant, in Pianissimo, entwickelt sich das Allegro mit dem Hauptthema. Stille, gleichsam verklingende Adagio-Passagen wechseln einander ab mit jäh sich aufbäumendem Fortissimo. Das zweite Thema ist eine Variante des ersten. Der bis an die Grenzen der Form geweitete Sonatensatz endet mit einer relativ kurzen Coda. Am Ende taucht in der rechten Hand ein völlig neuer Gedanke auf, der im C-Dur-Pianissimo verklingt. Der fast zwanzig Minuten lange zweite Satz beschäftigte viele große Geister. Hans von Bülow vermeinte darin »den Kampf zwischen dem, »männlichen und dem weiblichen Prinzip« zu erkennen. Thomas Mann lässt in seinem epochalen Musik-Roman »Doktor Faustus« seinen Helden Adrian Leverkühn einen langen Vortag darüber halten. Theodor W. Adorno konstatierte ein Spiel zwischen »Eros und Erkenntnis« und Alfred Brendel sieht in dem Satz »das abschließende Bekenntnis« Beethovens zur Gattung Klaviersonate. In fünf Variationen über die Arietta des Beginns, in sich ständig entwickelnder rhythmischer Veränderung und Steigerung, erreicht die Musik zunehmend den »reinen Klang« des C-Dur, als hätte sie »ein verklärtes Reich betreten«, um Walter Riezler zu zitieren. Die Synkopen des 4. Satzes erinnerten Igor Stravinsky an Boogie-Woogie und Ragtime, Formen, die zur Zeit Beethovens noch gar nicht existierten. In der 4. Variation verwandelt sich die Musik in eine geradezu impressionistisch anmutende, schwebende Atmosphäre, die in der 5. Variation zu einer großen geistigen Klarheit, zu einer abgeklärten, in sich ruhenden Heiterkeit führt. Das Prinzip von Beethovens Symphonik, durch die Dunkelheit zum Lichte zu gelangen, erscheint hier wieder, freilich in souveräner lyrischer Ruhe.

Gottfried Franz Kasparek


Christoph Soldan, Klavier

Christoph Soldan studierte bei Eliza Hansen und Christoph Eschenbach an der Hamburger Musikhochschule. Der Durchbruch zu einer regen, internationalen Konzerttätigkeit gelang durch eine gemeinsame Tournee mit Leonard Bernstein im Sommer 1989. Seitdem hat Soldan mit namhaften Orchestern in ganz Europa,…

Stefanie Goes, Rezitation

Stefanie Goes studierte klassisches Ballett in Stuttgart und Zürich, war Stipendiatin an der Rotterdamse Dans Academie und bei den Internationalen Wiener Tanzwochen. Sie arbeitet als Tänzerin und Choreografin an Theatern in Rotterdam, Stuttgart und Baden-Baden. Produktionen u.a. »Spuren« mit Claudia…

 

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